All das zu verlieren (Leïla Slimani)
Adèle ist 35 Jahre alt und führt ein Leben, das nach außen hin, perfekt zu sein scheint. Sie ist eine starke, unabhängige Frau und arbeitet als Journalistin für eine Pariser Zeitung. Außerdem ist sie mit dem erfolgreichen Chirurgen Richard verheiratet. Mit diesem und ihrem gemeinsamen 2-jährigen Sohn Lucien lebt sie in einer schicken Wohnung im angesagten 18. Arrondissement. Sie reisen viel und zuhause, in Paris, lässt Richard Adèle ihre Freiräume. Doch Adèle ist mit diesem Leben nicht glücklich. Sie ist gelangweilt von ihrem eintönigen Alltag, enttäuscht von ihrer Ehe und tut sich auch mit der Mutterrolle schwer. Der Drang danach mehr zu sein, als das, bringt sie dazu durch die Straßen zu ziehen, sich fallen zu lassen und immer wieder Sex mit Fremden zu haben. Das Doppelleben, das sie führt, ist für Adèle wie eine Sucht. Nur in den wiederholten Episoden sexueller Unterwerfung, in der Brutalität, hat sie das Gefühl sich wirklich zu spüren. Während ihr immer mehr die Kontrolle entgleitet, stellt sich die Frage, ob sie wirklich alles aufs Spiel setzen will.
Leïla Slimanis Roman hat mich beeindruckt und gleichzeitig ratlos zurückgelassen. Zunächst einmal finde ich die Thematik des Buches spannend und wichtig. Hier steht eine Frau im Vordergrund die ihre sexuellen Bedürfnisse nicht versteckt, sondern auslebt, die mit Familie und dem klassischen Eheleben einfach nicht so viel anfangen kann. Slimanis Schreibstil ist drastisch und explizit, was mich an einigen Stellen doch etwas verstört hat. Durch diese unmittelbare Erzählweise werden die Intensität von Adèles Begehren und ihre existenziellen Ängste aber sehr deutlich und ihre Gefühle für den Leser zumindest erahnbar. Auch ihre Beziehung zu Richard und das Verhältnis zu ihrem „perfekten Leben“ wirkten auf mich authentisch. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich immer wieder zwischen Verständnis und Abscheu hin und her schwankte und Adèles Handeln für mich meist eher wenig nachvollziehbar war. Das ist aber nicht unbedingt ein Kritikpunkt, sondern vielmehr eine persönliche Feststellung. Das Ende ließ viele Fragen offen, die mich anschließend noch länger beschäftigten. Zum Beispiel die Frage danach, ob Adèle nun „krank“ in dem Sinne ist, ob sie Hilfe bräuchte, oder ob eine solche Mutmaßung falsch wäre, weil ja doch nur eine gesellschaftlich geprägte Sichtweise auf die Sexualität von Frauen dahinter steckt. Für mich ein sehr intensiver, schonungsloser Roman, der zum Nachdenken anregt.
Vielen Dank an @btb_verlag und @bloggerportal für das Rezensionsexemplar.