Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron (Yade Yasemin Önder)
Die namenlose Ich-Erzählerin wird im Jahr 1987 in Westdeutschland geboren. Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Türke. Sie nimmt sich selbst als „Mischling“ wahr, verbringt ihre Kindheit zwischen Istanbul und BRD, zwischen dem Großvater Dede, mit dem Loch im Hals und den anderen, deutschen Großeltern, die sich noch immer nicht recht mit der Herkunft des Schwiegervaters arrangieren können. Als die Protagonistin noch ein Kind ist, passiert etwas Furchtbares: Der Vater, mit dem man aufgrund seines Übergewichts, nichts machen kann, was „mit Schwerkraft zu tun“ hat, wird bei Sägearbeiten tödlich verletzt und lässt Mutter und Tochter allein zurück. Die Beziehung der beiden ist schwierig, die Mutter macht das Kind indirekt für den Tod des Vaters verantwortlich, außerdem entwickelt die Tochter, aus Angst davor, auf einmal so dick wie der Vater zu werden, eine schwere Essstörung. Die Freundinnen sind mal für sie da, dann wieder nicht. Und so ist die Erzählerin auch als Erwachsene immer noch dabei, sich selbst zu verstehen, zu verlieren, zu finden.
Yade Yasemin Önders Debütroman Wir wissen, wir könnten und fallen synchron ist ungefähr so ungewöhnlich wie sein Titel. In einer sehr fragmentierten, virtuosen und verschlungenen Sprache erzählt Önder die Geschichte der Protagonistin, wobei immer wieder zwischen Episoden der Kindheit und Geschehnissen der Gegenwart hin und her gesprungen wird. Allgegenwärtig sind die Themen Identität, Familie und die Wahrnehmung des eigenen Selbst, des eigenen Körpers. Es geht um das Aufwachsen zwischen zwei Welten, die Einsamkeit des Erwachsenwerdens und den Verlust des Vaters, der obgleich abwesend, im Leben der Erzählerin bedrückend präsent ist. Önders Roman ist eindringlich, verspielt und lässt sich in Worten kaum beschreiben. Besonders die erste Hälfte gefiel mir sehr, vielleicht weil hier die Handlung noch einfacher nachzuvollziehen war. Mit Voranschreiten der Geschichte wird der rote Faden jedoch immer dünner, die Metaphern ausladender, die Zusammenhänge und die Verbindung zur
Protagonistin zunehmend verwaschen. Das war mir ehrlich gesagt etwas zu viel des Experimentellen, weil dadurch für mich Botschaft und Handlung letztlich zu stark in den Hintergrund traten. Ich denke, dass dies aber Geschmackssache ist.