Welten auseinander (Julia Franck)
Julia wird in Ostberlin geboren. Sie und ihre Zwillingsschwester sind der Mutter Anna zunächst vor allem eine Last: Das Kleinkindalter verbringen sie bereits in einer Pflegefamilie. Dann, mit acht, fliehen sie mit der Mutter und der älteren Schwester in den Westen, wo sie eine Zeit in einem Auffanglager verbringen und anschließend ein verwahrlostes Bauernhaus in Schleswig-Holstein beziehen. Anna ist ein Freigeist, wechselnde Partner, die ihr eine vierte Tochter bescheren, Schmutz und Chaos regieren das Leben der Familie, indem es die mittlerweile dreizehnjährige Julia kaum mehr aushält. Als Teenagerin geht sie nach Westberlin, lässt ihre Schwestern und die Mutter hinter sich und lebt bei Freunden der Familie. Ihren Tagebüchern vertraut sie alles an, ihre Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen darauf doch noch ihren eigenen Weg zu finden. Zwei Begegnungen verändern ihr Leben in der Großstadt: Erst ihr Vater, dann Stephan, ihre große Liebe…
Anfangs fiel es mir zugegeben schwer einen Zugang zu Julia Francks autobiographisch anmutenden Erzählung zu finden. Es geht viel um die Familie, die Lebenswege der Groß- und Urgroßeltern, die als Juden auch unmittelbar vom Holocaust betroffen waren. Nach einer Weile, als die Geschichte schließlich mehr um Julia und ihre Erlebnisse selbst kreist, war ich auf einmal aber doch sehr eingenommen und zunehmend neugierig darauf, wie sich der Weg dieser jungen, von Schicksalsschlägen und Entwurzelung geprägten Frau, entwickeln würde. Francks Schreibstil ist bildlich, teils etwas verworren und dabei stets authentisch und schlichtweg schön. Mit ihren Worten gelingt ihr ein bewegender, oft schockierender Einblick in eine Zeit und eine Familie, die in ihrer Zerrissenheit fühlbar wird. Je weiter ich las, desto deutlicher wurden die Bilder in meinem Kopf, desto eher setzten sich die Szenen des Romans zu einem Gesamtkunstwerk zusammen, das mich zum Ende hin immer mehr fesselte und berührte. Ein starker Roman, der ein wenig Zeit braucht, um seine Wirkkraft zu entfalten, dem ihr aber getrost eine Chance geben solltet.
Vielen Dank an @sfischerverlage für da Exemplar!
