Literatur

Die Harpyie (Megan Hunter)

Lucy und Jake sind seit vielen Jahren verheiratet und leben gemeinsam mit den beiden Söhnen im wohlhabenden Teil einer britischen Kleinstadt. Während Jake als Chirurg arbeitet und täglich zur Arbeit pendelt, führt Lucy den Haushalt und arbeitet bei Gelegenheit von zuhause aus. Die Tage gleichen einander, seit sie denken kann passt Lucy sich dem Bild an, dass die Umgebung von ihr hat, ordnet sich ihrer Familie unter. Eines Tages aber verändert ein Anruf alles, als der Mann einer von Jakes Arbeitskolleginnen Lucy mitteilt, dass Jake eine Affäre mit seiner Frau hat. Lucy ist erschüttert und macht Jake ein Angebot: Sie bleiben trotz des Betruges zusammen, Lucy aber darf sich fortan dreimal an Jake rächen, ohne Vorwarnungen, ohne Tabus. Infolge ihres Rachezugs entdeckt Lucy eine Seite an sich, die sie immer mehr einnimmt und die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn verschwimmen lässt.

Ich habe Die Harpyie in einem Zug durchgelesen, weil ich mich dem düsteren Sog, den dieses Buch auf mich ausübte, nicht mehr entziehen konnte. Mit Lucy schafft Megan Hunter eine Figur, die sich selbst zugunsten von Familie und Mutterschaft größtenteils aufgibt und an Individualität verliert, im Laufe der Handlung aber immer mehr aufbegehrt und in diesem Extrem droht, sich selbst gänzlich zu verlieren. Hunter schreibt auf den Punkt und bringt die Gefühle der Protagonistin dabei sehr unmittelbar rüber. Außerdem empfand ich das Lesen wirklich als spannend, von Anfang an war ich fasziniert und gespannt darauf, wie sich Lucy weiterentwickeln, wie sehr sich das Vermischen von Realität und Traum hier steigern wird. Die metaphorisch angehauchte Figur der Harpyie fand ich interessant und stimmig, das Ende ließ mich zwar etwas ratlos zurück, war für mich in seiner etwas diffusen Offenheit aber ein runder, zum Nachdenken anregender Abschluss für den Roman. Ein fesselndes, intelligentes Buch.