Literatur

Die andere Seite des Tages (Emeli Bergman)

Anna ist noch jung, als sie ihre dänische Heimat verlässt, um in Paris als Au-Pair Mädchen anzufangen. Der Tod ihres Bruders ist noch nicht lange her, das Verhältnis zu ihren Eltern seitdem angeknackst. In ihrer ersten Familie sind die Söhne bereits erwachsen, Anna vor allem für den Haushalt zuständig. Als beide Männer das Zuhause verlassen, zieht auch Anna weiter, in die Wohnung von El und ihrem kleinen Sohn. El ist nicht viel älter als Anna, könnte ihre Freundin sein, wäre da nicht die feine Linie, die die beiden Frauen trennt. Die Jahre vergehen, Anna bleibt ihrem Beruf treu und zieht von Haushalt zu Haushalt, von Familie zu Familie. Sie lernt Kinder kennen, die sie liebt, Männer, die sie anziehend findet, Frauen, denen sie sich nah und fern gleichermaßen fühlt. Und doch bleibt sie stets außenvor. Noch Jahre nachdem sie in Paris begann, trauert sie ihrem Bruder nach und scheint verlernt zu haben, echt Nähe zuzulassen.

Das Leben von Au-Pairs fand ich schon immer interessant, insbesondere bei Menschen, die diese Tätigkeit nicht „nur“ ein paar Jahre, sondern über einen langen Zeitraum ausüben wie Protagonistin Anna. Ich brauchte ein bisschen, um Emeli Bergmans Erzählung hineinzufinden, der Schreibstil hat etwas Besonderes an sich, wirkt insgesamt leicht fragmentiert. Nach einer Weile fand ich mich aber gut ein und konnte diesem Stil viel abgewinnen. Irgendwie spiegelte er in meinen Augen ganz gut die Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz wider, die hier immer wieder Thema ist und auch bei meiner Verbindung zu Anna als Figur eine Rolle spielte. Die Handlung erstreckt sich über ca. zwei Jahrzehnte, wobei Annas einzelne „Stationen“ episodenhaft dargestellt werden. Ich finde, dass man hier immer viel zwischen den Zeilen lesen konnte, dass Annas Gefühle und ihr Platz innerhalb der Familien sehr feinfühlig und authentisch eingefangen wurden. Gerne hätte ich noch mehr über ihre Familie und den Tod des Bruders erfahren, da fehlte mir etwas der Kontext. Insgesamt konnte mich dieser leise und doch ausdrucksstarke Roman aber überzeugen.