Apeirogon (Colum McCann)
Rami Elhanan ist Israeli, Jude und Jerusalemer in siebter Generation, sein Vater stammt aus Ungarn, überlebte den Holocaust und ging anschließend nach Israel. Bassam Aramin ist Palästinenser, Moslem und Araber und lebt in Jericho. Beide stehen auf unterschiedlichen Seiten der Mauer, gehören zu zwei befeindeten Parteien, die sich seit 1948 im Rahmen des Nahostkonflikts und der israelischen Okkupation des Westjordanlandes, bekriegen. Im Jahr 1997 verliert Rami seine 14-jährige Tochter Smadar, als diese bei einem palästinensischen Selbstmordattentat getötet wird. 2007 verliert Bassam seine 10-jährige Tochter Abir, als diese durch das Gummigeschoss eines israelischen Grenzpolizisten tödlich verletzt wird. Die Trauer eint die beiden Männer, die sich in den 2000er Jahren kennenlernen. Gemeinsam sind sie Mitglieder der Organisationen Combatants for Peace und dem Parents Circle. Zwei Freunde, die ihre Geschichten überall auf der Welt erzählen und dabei für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikt kämpfen.
Apeirogon ist ein außergewöhnlicher Roman, der mich beim Lesen gefangen genommen und sehr berührt hat. Das liegt vor allem daran, dass das Buch eine Mischung aus Roman, Sachbuch und realer Geschichte ist. Rami und Bassam gibt es wirklich, ihre Geschichten, ihre Freundschaft und ihr gemeinsames Engagement für den Frieden, wurden von Colum McCann nicht erfunden, dafür aber in ein kaleidoskopartiges Kunstwerk verwandelt, das mich mit seiner außergewöhnlichen Form sehr positiv überraschte. Das Buch setzt sich aus insgesamt 1000 Abschnitten zusammen, die Mal nur eine Zeile, Mal mehrere Seiten lang sind. Genau in der Mitte befinden sich außerdem zwei zusammenhängende Texte, in denen Rami und Bassam ihre jeweiligen Lebenswege schildern. McCann arbeitet in seinem Roman mit Abschweifungen, Mal geht es um die Herstellung von Falkenkappen, Mal um Musik, Mal um den Seiltänzer Philippe Petit. Obgleich ungewöhnlich, haben mich diese Ausschweifungen sehr gefesselt. So nimmt McCann nicht nur den Tod der beiden Töchter in den Fokus, sondern auch das große ganze Drumherum und schafft es dabei ganz nah an diesen historischen Konflikt, den Verlust und die Einigung der beiden Protagonisten heranzukommen. Ein einzigartiges Buch, das mich nach einer kurzen „Einlesephase“ sowohl nachhaltig berührt als auch beeindruckt hat.