Literatur

Vladimir (Julia May Jonas)

Seitdem ihrem Mann John der Lehrauftrag an der Universität entzogen wurde, wird es auch für die namenlose Erzählerin immer ungemütlicher an der Fakultät, an der sie seit vielen Jahren lehrt. John wird vorgeworfen, sexuelle Beziehungen zu mehreren Studentinnen geführt zu haben und diese mit seiner Macht missbraucht zu haben. Seit jeher lebt das Paar in offener Ehe, die Erzählerin wusste von den Affären ihres Mann und hat sich bisher nicht deutlich von ihm distanziert. In diese Situation hinein tritt der neue Literaturdozent Vladimir, dessen Roman gerade in aller Munde ist. Er ist vierzig, intelligent und weckt in der Erzählerin ein unfassbares Begehren. Vladimir ist mit seiner psychisch labilen Frau neu in die Stadt gezogen und steht eines Abends vor der Tür, um sein Buch vorbeizubringen. Die Erzählerin entwickelt einen Plan, um Vladimir zu verführen, während das Verfahren gegen John und das Auftauchen ihrer Tochter Sidney langsam, aber sicher ihr Wertesystem ins Wanken bringen.

Am Anfang wusste ich nicht so ganz, ob ich und Vladimir von Julia May Jonas Freunde werden würden. Es fiel mir erst schwer mich in die Erzählperspektive der Protagonistin hineinzuversetzen, die ich als etwas distanziert und analytisch empfand. Mit der Zeit kam ich aber immer besser in die Geschichte hinein, das lag auch daran, dass diese zunehmend komplexer wurde: Die Tochter taucht auf, Vladimirs Frau Cynthias spielt eine immer größere Rolle und auch der Druck von Seiten der Universität wächst, das wurde dann doch echt spannend. Auch zu verfolgen, wie sich die Obsession der Erzählerin immer weiter steigert, war interessant und dann auf einmal sehr packend beschrieben. Hier geht es um weibliche Begierde, um Fehlbarkeit, Moral und das Hinterfragen der eigenen Werte und all das verpackt Julia May Jonas am Ende doch ziemlich gelungen und mit einer Sogkraft, die sich für mich allerdings erst in der zweiten Hälfte entwickelt. Obwohl ich bis zum Ende keine Sympathie für die Protagonistin empfand, habe ich Vladimir so letztendlich doch sehr gerne gelesen.