Mehr als ein Leben (Milena Moser)
Helen lebt gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Züricher Wohnung, seitdem Luc, der Vater, die Familie verlassen hat. Während Luc sich neuen Frauen widmet, verkraftet Vera die Trennung nicht und versinkt in Depressionen und Alkohol. So muss Helen bereits als Fünfjährige lernen, für sich allein zu sorgen, auf ihre Mutter aufzupassen und deren Phasen vor den Nachbarn zu kaschieren. Immer an ihrer Seite ist dabei der Nachbarsjunge Frank. Als sie zehn Jahre alt ist, zeigt der Vater wieder mehr Interesse, will Helen sogar zu sich holen. So eröffnen sich dem Mädchen zwei Wege: Zu Luc und dessen Freundin ziehen, oder bei der Mutter bleiben… In Mehr als ein Leben geht beides. In Lucs Haushalt, indem sie nie recht dazugehört, wird Helen zu Elaine. Bei ihrer Mutter lebend wird sie zur eigensinnigen Luna. In beiden Welten wird der Weg sie nach Amerika führen, in beiden Welten bleibt Frank ein Orientierungspunkt ihres Lebens.
Mit der Trennung ihrer Eltern eröffnen sich der Protagonistin Helen zwei Lebenswege, die Milena Moser in ihrem Roman Mehr als ein Leben beide nebeneinander existieren lässt. Vor der Entscheidung ist Helen noch Helen, danach sind die Kapitel abwechselnd mit Elaine und Luna betitelt. Auch gibt es immer wieder Zeitsprünge, die Schilderung der beiden Parallelleben startet, als Elaine/Luna bereits 49 ist, geht dann aber in die 80er und 90er zurück, um zu zeigen, wie sich die jeweiligen Lebenswege gestaltet haben. Ich mochte Mosers Erzählstimme sehr, sie brachte mir die Figuren nah und ließ auf den immerhin 560 Seiten keine Längen entstehen. Viele Fragen zum Thema Selbstbestimmung, Familie, Schicksal und Entscheidungen werden aufgeworfen, die Unterschiede aber auch Parallelen der Handlungsstränge verfolgte ich mit Spannung. Die Beziehungen zwischen den Figuren fand ich gelungen und feinfühlig gezeichnet. Einzig die Message des Romans erschloss sich mir nicht ganz. Okay, man trifft eine Entscheidung und alles wird anders…, es gibt tausend Möglichkeiten, ja. Und? Da hätte ich mir noch einen Aha-Moment gewünscht. Trotzdem habe ich den Roman sehr gerne gelesen.