Literatur

Dankbarkeiten (Delphine de Vigan)

Michka hat ihr Leben allein und unabhängig verbracht, bis ins Alter hinein. Jetzt aber fällt ihr der Alltag schwer, sie verliert nicht nur Dinge, sondern auch nach und nach den Zugriff auf ihre Erinnerungen und ihre Sprache. Gemeinsam mit ihrer Freundin Marie, einer jüngeren Frau, die als Kind und darüber hinaus stets Zuflucht bei Michka fand, entscheidet sie, in ein Altersheim umzuziehen. Hier lernt sie den Logopäden Jérôme kennen, der die alte Dame schnell ins Herz schließt und versucht Michka beim Erhalt ihres Wortschatzes zu helfen. Doch der Verlust von Sprache und Eigenständigkeit ist nicht das einzige, was Michka bedrückt. Seit Jahren sucht sie vergeblich nach zwei Menschen, die ihr als Kind während des Krieges das Leben retteten. So gerne würde sie den Unbekannten ihren Dank ausdrücken, doch wie, wenn sie nicht mal die Nachnamen kennt? Marie setzt erneut eine Suchanzeige auf, doch die Zeit wird knapp und Michkas Kräfte schwinden.

Dankbarkeiten war jetzt das vierte Buch, das ich von Delphine de Vigan gelesen habe. Auch, wenn mich die Geschichte um Michka, Marie und Jérôme berührt hat und ich de Vigans Schreibstil gewohnt treffend und intelligent fand, konnte der Roman für mich nicht ganz an Nach einer wahren Geschichte, Loyalitäten und Die Kinder sind Könige heranreichen. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Marie und Jérôme geschildert, doch auch in Michkas Innenleben und ihre wiederkehrenden Albträume erhält man als Leser*in Einsicht. De Vigan beschreibt Michkas Sprachverlust mit sehr viel Mitgefühl, lässt ihre Ängste und Sorgen nachvollziehbar und greifbar werden. Auch Marie und Jérôme haben ihre eigenen Geschichten, auf die de Vigan aber nicht so sehr eingegangen ist. Das machte den Roman in meinen Augen etwas weniger komplex als erhofft. Auch fand ich manche Handlungsverläufe etwas vorhersehbar. Für mich hätte dieser Roman schlichtweg länger und vielschichtiger sein können. Gelesen habe ich die 160 Seiten trotzdem gerne, nicht falsch verstehen. Die genannten andere Bücher fand ich aber irgendwie cleverer und mitreißender.