Blutbuch (Kim de L’Horizon)
Kim wächst in einem kleinen Schweizer Vorort auf. Die Blutbuche im Garten der Heimat ist für das Kind, das schon früh entscheidet, seine Identität nicht durch binäre Ordnungssysteme definieren zu lassen, Orientierungspunkt und Mysterium zugleich. Genau wie Mutter und Großmutter, im Berndeutschen Meer und Großmeer, die Kim über die Jahre hinweg begleiten. Erwachsen geworden und vom Dorf nach Zürich gezogen, hat Kim sich ein eigenes Leben aufgebaut, voll sexueller Freiheiten, Freundschaften und Raum für Kreativität. Doch als die Großmeer an Demenz erkrankt und zunehmend den Bezug zur Realität verliert, setzt auch Kim sich erneut intensiv mit der Kindheit im Schatten der Blutbuche und der fragenumwobenen Familiengeschichte auseinander, die ihre Schatten bis in die Gegenwart wirft und sich tief in Kims Persönlichkeit eingeschrieben hat. Doch wieso sind Kims Erinnerungen so lückenhaft? Und wer waren die verschwundene Irma und die erste Rosemarie?
Über Stammbäume, Gespräche und den inneren Dialog ergründet Kim das Verhältnis zu Großmeer, Meer und zu sich selbst aufs Neue…
Mich konnte Blutbuch begeistern und ich bin sehr froh, dass dieses außergewöhnliche Buch einen Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gefunden hat (obgleich ich auch andere nominierte Titel sehr gerne gelesen habe). Kim de L’Horizons Geschichte ist autofiktional, ehrlich und dadurch in ihrer Wirkung auf mich unmittelbar und tiefgehend. Stiltechnisch könnte man das Buch durchaus als experimentell beschreiben, es gibt fünf Teile, die sich in Form und Sprache teils stark voneinander unterscheiden. Mal derb und direkt, dann wieder ausufernd und detailverliebt, konnten mich jedoch alle Teile auf ihre eigene Art und Weise in einen Bann ziehen. Besonders gefiel mir der letzte Teil, ein Brief an die Großmeer, der so wahnsinnig viele kluge Gedanken enthält und bei mir deshalb großflächig mit Klebezetteln bestückt wurde. Trotz des ungewöhnlichen Stils und dem intensiven Hinabtauchen in Kims Familienhistorie war der rote Faden der Geschichte für mich durchweg ersichtlich. Ein packendes, literarisch spannendes und emotionales Buch, dem ich (neben Lügen über meine Mutter) für die Preisverleihung die Daumen drücken werde.