Nordstadt (Annika Büsing)
Nene lebt im Norden der Stadt, da wo die Perspektivlosigkeit der Bewohner wie ein Duft in der Luft hängt. Sie selbst ist Anfang zwanzig und hat sich mit ihrem Job als Bademeisterin im örtlichen Schwimmbad den Traum von der eigenen Bleibe erfüllt. Ein Schritt, der dringend nötig war, denn Nenes Kindheit war nach dem Tod der Mutter von der Alkoholsucht und den Gewaltausbrüchen des Vaters geprägt. Ihre ältere Schwester Alma hingegen durfte in privilegierten Verhältnissen aufwachsen, mit Klavierstunden und stilvollem Altbau. Nene ist mit ihrem Leben zufrieden, sie will ihre Vergangenheit vergessen und hat mit dem Schwimmbad einen Ort gefunden, an dem sie sich geborgen fühlt. Eines Tages begegnet ihr hier Boris, ein junger Mann mit Pumaaugen und einer, durch Kinderlähmung bedingte Beinbehinderung. Boris ist schwierig, doch in seiner Wut auf die Welt findet Nene sich auch wieder. Sie lässt nicht locker und findet somit bald einen Weg in Boris‘ Herz.
Annika Büsings Debütroman Nordstadt zählt zarte 120 Seiten, auf denen die Autorin mit einem ganz besonderen Schreibstil sehr viel vermittelt und entstehen lässt. Die Geschichte wird aus der Perspektive von Protagonistin Nene erzählt, einer jungen Frau, die viel durchstehen musste, dabei aber überwiegend voll Lebensmut geblieben ist und einen Platz für sich in der Welt sucht. Büsings Erzählstil ist sehr direkt und spiegelt den sozialen Hintergrund von Nene überzeugend, aber auch auf sehr berührende Weise wider. So transportieren die kurzen, schnörkellosen Sätze umso mehr Ehrlichkeit und eine Art unbewusste, oft traurige Poesie. Immer wieder gibt es Rückblicke in Nenes Kindheit und Jugend, die Beziehung zur Schwester, dem Vater und Boris werden trotz der wenigen Seiten mit viel Liebe zum Detail beleuchtet, was Tiefe und Greifbarkeit entstehen lässt. Die Liebe, die sich zwischen Boris und Nene entwickelt, wird dabei zum Angelpunkt der Handlung. Einzige Kritik: Die kleinen Zeitsprünge waren manchmal etwas irritierend. Davon abgesehen hat mich dieses kleine Büchlein mit seiner Unaufgeregtheit aber sehr bewegt.