Wir von der anderen Seite (Anika Decker)
Als Rahel am Silvesterabend die Augen aufschlägt, versteht sie die Welt nicht mehr. Nicht nur liegt sie in einem Krankenhausbett, auch ist sie von ihren Eltern und dem jüngeren Bruder umringt, allesamt mit verweinten Gesichtern. An den Nierenstein, der sie an Heiligabend ins Krankenhaus führte, erinnert sie sich noch dunkel, danach jedoch folgt eine seltsame Leere. Erst nach und nach begreift sie, dass sie beinahe an multiplem Organversagen gestorben wäre und eine Woche im Koma lag, ein Schock für die junge Drehbuchautorin. Während Rahels Freund Olli noch auf Bali weilt, beginnt sie sich ins Leben zurückzukämpfen. Der erste Löffel Joghurt, die ersten Schritte, das erste Mal allein Duschen. Doch der Weg in die Normalität ist lang und die mitleidigen Blicke der Fitten und Schönen hart zu ertragen. Außerdem lässt Rahel die Frage nach der Wahrheit nicht los Was ist an Weihnachten wirklich passiert und was haben die Flashbacks zu bedeuten, die sie ebenso verfolgen, wie die vom Medikamentenentzug erzeugten winkenden Eichhörnchen?
Ich hatte mir Wir von der anderen Seite vor zwei Wochen auf Empfehlung von @emelie.ellen hin geholt und muss Emi an dieser Stelle nochmal herzlich danken. Dieses Buch, das so traurig und schön und witzig und ehrlich ist, hat meinen Geschmack absolut getroffen und gab mir richtig gute Meyerhoff-Vibes (und das ist gut, denn ich liebe Meyerhoff). Die Geschichte wird chronologisch aus Rahels Perspektive erzählt, beginnend mit ihrem Erwachen aus dem Koma. Rahel wurde dabei für mich schnell zu einer echt authentischen Identifikationsfigur, ich konnte mich super in sie einfühlen und fand, dass sie mit ihrem trockenen Humor und ihrer unverhohlenen Art absolut greifbar wurde. Mit viel Feinfühligkeit und Liebe zum Detail gelingt Anika Decker der schwierige Balanceakt zwischen Humor und Ernsthaftigkeit ziemlich gut. Kein Scherz wirkt hier unpassend und dass Krankheit und Tod scheiße sind, wird trotz des lockeren Schreibstils schon ausreichend deutlich. Aber es geht hier ja auch noch um viel mehr, um Freundschaft, um Liebe, ums Verzeihen und ums Sich-neu-erfinden. Besonders die Schilderung des Familienzusammenhalts hat mich da nochmal sehr abgeholt. Ich mochte das Buch richtig gerne.