Literatur

Nachmittage (Ferdinand von Schirach)

Ferdinand von Schirach gehört zu den deutschen Autor*innen, die auch international erfolgreich sind. Viel Zeit verbringt er auf Reisen, er besucht Pressetermine und Verlagshäuser, gibt Interviews und begegnet in der Fremde oftmals Menschen, die ihm in Hotelbars und zwischen Tür und Angel ihre einzigartigen Geschichten erzählen. Ein Uhrenfabrikant, der nicht mit der Zeit gehen will und den sein Doppelleben schließlich zu einer schwerwiegenden Handlung zwingt. Ein Paar, das im Arbeitsleben die Beziehung aus den Augen verliert und deren Entfremdung sich im unverhofften Auftauchen einer teuren Uhr widerspiegelt. Eine junge Frau, die bei einem Kinobesitzer Unterschlupf findet und hier das erste Mal Geborgenheit, aber auch ein bitteres Geheimnis, entdeckt. Das empfindsame Gemüt Thomas Manns, eine venezianische Villa, die von Schirach in ihrem, von Generationen angesammelten Chaos, Zuflucht bietet und das neue James Webb Teleskop, das eigentlich eine Zeitmaschine ist.

Über all dies und mehr schreibt Ferdinand von Schirach in seinem neuen Erzählband Nachmittage, der Ende August erschienen ist. Insgesamt sechsundzwanzig Texte werden hier versammelt, manche eine Seite lang, andere länger, kurze Gedanken und ausführlichere Erzählungen. Wie immer genoss ich Ferdinand von Schirachs schnörkellose, leicht lakonische Sprache sehr, die immer genau richtig viel preisgibt und mit ihrer Treffsicherheit dennoch Raum für eigene Gedanke und den Nachhall der einzelnen Texte lässt. Auch, wenn jedes Kapitel etwas für sich hatte, gefielen mir besonders die etwas längeren, die mich mit ihren oft krassen Pointen fesselten und zum Nachdenken anregten. Die Mischung hatte aber auch etwas und gab, wie bei von Schirach üblich, nicht nur interessante Einblicke in dessen Innenleben, sondern auch in die menschliche Psyche im Allgemeinen. Insgesamt einen winzigen Ticken schwächer als Kaffee und Zigaretten, aber dennoch lesenswert, unterhaltsam und tiefsinnig.